Christopher Kramer (Kilia Kiel), alleine auf weiter Flur mit zwei Gegenspielern, konnte seine Torgefährlichkeit mangels Möglichkeiten nicht beweisen. © 2023 Ismail Yesilyurt
„Wer keine Tore schießt, der kann nicht gewinnen“, kennt Kilias Liga-Manager Berkant Özel die von der Mathematik beweisbare Fußball-Weisheit und Spruch. Und legt damit den Finger in die offene Wunde, die den Aufsteiger Kilia seit einigen Wochen in der Regionalliga Nord plagt. Seit nun 361 Minuten nach dem 2:2 bei St. Pauli II wartet Kilia Kiel auf einen eigenen Torjubel. 0:2 verlieren die Kilianer am Samstag das als Kellerduell ausgewiesene Spiel gegen den TSV Havelse. In dieser Zeitspanne enden alle vier Begegnungen inklusive dem Havelse-Match (SC Spelle-Venhaus, 1. FC Phönix Lübeck, BW Lohne) mit einem 0:2.
Joker Deniz Cicek mit Blitztor
Während die eine Seite natürlich enttäuscht ist, strahlt auf der anderen Seite Cheftrainer Samir Ferchici nach dem Spiel. „Ihr könnt ja schreiben, dass der Sieg eingewechselt worden ist“, lacht Ferchici. Machen wir! Der nur wenige Sekunden zuvor eingewechselte Deniz Cicek presst Tom Warncke in der eigenen Hälfte und nimmt den misslungenen Pass des Kielers straight auf das gegnerische Gehäuse mit. Mit dem rechten Fuß schießt der Linksfuß aus der halbrechten Position im Strafraum ins lange Eck zum 1:0 ein. Den Deckel drauf macht der ebenfalls eingewechselte Luca Mittelstädt mit einem Kopfball aus kurzer Distanz zum verdienten Erfolg für den Drittligisten aus der Saison 2021/22.
TSV Havelse presst Kilia in die eigene Hälfte
Der TSV Havelse, der weit unter Wert punktgleich mit dem FC Kilia im Tabellenkeller auf dem ersten Nichtabstiegsplatz hockt, redet nicht lange um den heißen Brei herum und übernimmt gleich mit dem Anpfiff die Spielinitiative. Gegen die feldüberlegenen und mit Angriffspressing nach Kiel angereisten Niedersachsen geht der Gastgeber gleich in den Verteidigungsmodus. Das präsentiert der FC indes sehr gut. Lediglich ein schöner Bogen-Freistoß von Julius Düker an den linken Außenpfosten (12.), zwei nicht ganz ungefährliche Kopfbälle (20., 29.) und noch eine Möglichkeit durch Niklas Tasky (23.) sind die Ausbeute der weitaus größeren Spielanteile der Gäste.
Zu wenig Nadelstiche in Hälfte eins
Die Kehrseite des Abwehrmarathons: Nach vorne findet Kilia Kiel gar nicht statt. Entweder ist Havelse mit seinem Angriffspressing schnell wieder erfolgreich, wird der Ball weit und hoch ins von Kilia unbesetzte Niemandsland gedroschen, kommt der Pass beim Gegner an oder landen die Bälle seltsamerweise auf der Tribünenseite mit Rechtsdrall im Seitenaus. Entlastungsangriffe und dadurch mit Nadelstichen den Gegner zu verunsichern bis zur 42. Minute: gleich Null. Abgesehen von einem ungefährlichen Schuss von Lars Horstinger (1.).
Malte Petersen und Matti Seidel verpassen 1:0 für Kiel
Die erste Möglichkeit gibt es nach einem Freistoß von Jeppe Waschko, den Malte Petersen etwas zu mittig auf Keeper Tom Opitz platziert. Zwei Minuten später in der 44. Minute wird zunächst ein Versuch von Horstinger abgeblockt und es entsteht ein Hochkaräter für Jan Matti Seidel. Aus einer nahezu perfekten Mittelstürmer-Position hat Seidel freie Bahn. Doch Opitz rettet vor dem 0:1.
Kopf nicht im Weg für Ferchici-Team
„In der 44. Minute muss man dann sagen, haben wir auf jeden Fall Glück gehabt. In der Phase, wo wir sind, kann es dann auch mal sein, dass so ein Ball dann reingeht. Und du mit 0:1 in die Halbzeit gehst. Dann geht so ein Spiel ganz anders aus. Dann fangen die Mechanismen im Kopf an zu arbeiten. Dann ist der Kopf im Weg“, mutmaßte ein erleichterter Ferchici nach dem Spiel.
Gemeinsames Leiden erfolgreich für Kilia
„Wir mussten heute leiden in der ersten Halbzeit. Das haben wir aber gemacht. Wir haben gemeinschaftlich das sehr sehr gut verteidigt. Haben das eine oder andere Ding zugelassen. Das wirst du auf dem Niveau nicht verhindern. Und trotzdem haben wir es immer wieder geschafft, den Fuß davor zu kriegen und auch die Flanken zu verteidigen. Da finde ich einfach, wir haben einen Schritt nach vorne gemacht“, lobte Nicola Soranno das Defensivverhalten seiner Schützlinge.
Julius Alt und Co stehen nach der Pause höher
Einen kleinen Schritt nach vorne im wahrsten Sinne des Wortes machten die Platzherren mit dem Wiederanpfiff. Nun gibt es mehr Aktionen in der gegnerischen Hälfte. Zündende Ideen und das Durchsetzungsvermögen im letzten Drittel bedürfen jedoch eines Upgrades in der Regionalliga. Tom Baller mit einem Schuss knapp über der Latte (58.) und Christopher Kramer mit einem versuchten Seitfallzieher (75.) sind die Höhepunkte der Kieler vor dem TSV-Tor.
Ampelkarte für Lars Horstinger holt Prozente raus
Die Chancen der Ferchici-Elf sind höherer Qualität. In der 57. Minute blocken zwei Mal Tom Wüllner und Yannik Jakubowski in höchster Not. Dann folgt der Fauxpas zum 0:1 vom bis dato besten Kilianer, der die nötige Härte und Aggressivität in den Zweikämpfen zeigt. Die seit dem Start in die Hälfte zwei höher pressenden Soranno-Kicker bekommen nach der etwas zu harten Ampelkarte für Lars Horstinger Oberwasser. In Unterzahl mit Wut im Bauch produziert Kilia mehr Adrenalin, aber keine Tormöglichkeiten.
„Dann gelb-rote Karte, muss ich sagen kippt das Spiel ehrlich gesagt. Ich fand, nicht, dass das nicht ein großer Vorteil für uns gewesen ist. Weil am Ende wir dann passiv geworden sind. Und Kilia schon mit dem einen oder anderen langen Bällen in den Sechszehner uns auch vor Gefahr hätte stellen können“, musste Samir Ferchici nicht mehr um den Lohn bangen, das in dieser Saison schon mehrfach dem TSV Havelse nicht ausgezahlt wurde.
Fazit: Kilia Kiel kommt peu á peu weiter in der Regionalliga Nord. Das betrifft besonders die Defensive. Aber in der Gesamtsumme wird das noch nicht ausreichen. Es muss wie nach dem Platzverweis mehr „Wut“ und Adrenalin rein. Vor allem in Spiel nach vorne. Punkte für den Klassenerhalt sammelt man mit Toren und Siegen. Wobei wir wieder am Anfang wären: Wer keine Tore schießt, kann nicht gewinnen! Bleibt die Frage offen, welche weiteren Lösungen es gibt.
Stimmen zum Spiel
FC Kilia Kiel: Pachulski – Jakubowski, Wüllner (71. Ramo), Petersen – Warncke (71. Petrick) – Baller (85. Müller), Waschko, Alt, Horstinger – Kramer, Seidel (63. Labes).
Trainer: Nicola Soranno.
TSV Havelse: Opitz – Minz (92. Behrens), Tasky, Kolgeci – Riedel, Düker (67. Cicek), Rufidis, Schleef – Engelking (57. Mittelstädt), Stuhlmacher (46. Kukanda), Langfeld (71. Ilic).
Trainer: Samir Ferchici.
Schiedsrichter: Dr. Gerrit Breetholt (Grün-Weiß Eimsbüttel).
Assistenten: Gerhard Ludolph, Sandra Birkenhof.
Zuschauer: 250.
Gelb-Rote Karte: Horstinger (78., Foulspiel/Unsportlichkeit, Kilia).
Tore: 0:1 Cicek (67.), 0:2 Mittelstädt (90.).