Quo vadis Amateurfußball?

von Olaf Wegerich

SHFV-Geschäftsführer Dr. Tim Cassel. Quelle: SHFV


Jedes Jahr nach Beendigung der regulären Saison beginnt für viele Vereine im Land das große Zittern, wenn es um die Zahl der Absteiger geht. In der diesjährigen Oberligasaison drohte besonderes Ungemach. Neben den drei Regelabsteigern standen zwei weitere Vereine vor dem bitteren Gang in die Fünftklassigkeit.

Inzwischen hat das drohende Horrorszenario etwas seinen Schrecken verloren, da dem Regionalliga-Meister Hannover 96 II ebenso der Sprung in die 3. Liga gelungen ist wie dem SV Todesfelde der Aufstieg in die Regionalliga. Sollte sich der Regionalligist SC Weiche Flensburg 08 in der Relegation gegen den Vizemeister der Oberliga Niedersachsen, den TuS Bersenbrück (Hinspiel Mittwoch, 05.06. in Bersenbrück sowie am 09.06. in Flensburg), durchsetzen, bliebe es tatsächlich bei den drei Regelabsteigern aus der Oberliga.

Der FC Dornbreite Lübeck als Fünftletzter der Oberliga war bereits nach dem überraschenden Aufstieg des SV Todesfelde gerettet und konnte durchatmen. Für Oberliga-Aufsteiger MTSV Hohenwestedt, der die Saison als Viertletzter beendete, geht das Zittern weiter bis zum 9. Juni. Das hat sowohl Auswirkungen auf die Kaderplanung als auch auf den Etat, weil es an Planungssicherheit fehlt.

Daher muss die Frage erlaubt sein: Ist es gerecht, dass der Amateurfußball als Puffer für die darüber angeordneten Profi- und semiprofessionellen Ligen herhalten muss? Während der unsäglichen Coronazeit durfte in der Regionalliga West – wenn auch ohne Zuschauer – weitergespielt werden, weil sich diese Spielklasse selbst als Profiliga definiert. Im Norden war das nicht der Fall. Trotzdem sind dort vier Bundesligavereine mit ihren Zweitvertretungen unter der Bezeichnung U23 vertreten, mit der Zielsetzung, den Profifußball national und international mit jungen Talenten natürlich gewinnbringend zu bedienen. Der Abstieg von Werder Bremen II war eh nur ein Betriebsunfall und wird sich sicher nicht wiederholen. Durch den Bundesliga-Aufstieg von Holstein Kiel und St. Pauli werden deren Zweitvertretungen aller Wahrscheinlichkeit nach weiter an Qualität dazugewinnen.

Abgesehen von den Traditionsvereinen, ausgestattet mit einer großen Fanbase wie dem VfB Lübeck, dem SV Meppen und dem VfB Oldenburg, die allzu gerne wieder dauerhaft im Profifußball Fuß fassen möchten, aber in der Regel durch den Flaschenhals Relegation gehen müssen, ist der Rest der Liga finanziell eher bescheiden aufgestellt. Allenfalls Vereine wie Phönix Lübeck und Teutonia Ottensen können noch finanziell mithalten. Die verbleibenden Vereine der Regionalliga Nord kämpfen in der Regel um das nackte Überleben, sprich den Klassenerhalt, weil die finanziellen Mittel bei weitem nicht ausreichen, um mit der Finanzkraft der Bundesligisten mitzuhalten. Die infrastrukturellen Anforderungen für den Spielbetrieb können von den Profivereinen locker erbracht werden. Kleinere Vereine hingegen sind gezwungen, ins Stadion und in die Infrastruktur zu investieren und damit ins Risiko zu gehen. Das Geld fehlt dann oft, um beim kickenden Personal wettbewerbsfähig zu sein.

Es klingt zwar außerordentlich reizvoll, wenn die großen Profivereine aus dem Norden in der Provinz ihre Visitenkarte abgeben und so mancher Nostalgiker sieht sich dabei womöglich an die gute alte Oberliga Nord bis zur Gründung der Bundesliga 1963 erinnert, doch eine Chancengleichheit ist nicht im Ansatz gegeben. Über die Jahre sind gestandene Vereine wie der Lüneburger SK – jetzt nur noch in der 6. Liga –, Atlas Delmenhorst, VfV Hildesheim, Altona 93, Victoria Hamburg, VfR Neumünster oder der Heider SV aus der Liga verschwunden, weil es sportlich oder finanziell nicht mehr gereicht hat.

Was spricht dagegen, dass die Zweitvertretungen endlich eine eigene Liga bilden? Wer sich das ansehen möchte, kann das ja auch gerne machen, wenn er einen Bezug zu den Vereinen hat. Es kann aber nicht sein, dass der Amateurfußball für die Auswüchse des Profifußballs in Geiselhaft genommen wird. Gerade diese Vereine sind, wenn sie denn gut geführt werden, die der Regionalliga besser zu Gesicht stehen würden. Damit wären auch endlich wieder viele mittelgroße Städte aus dem Norden im regionalen Fußball vertreten.

Ein weiterer Denkansatz für Schleswig-Holstein wäre, die Staffelstärken von der Oberliga abwärts auf 18 Mannschaften anzupassen. Mehr Spiele bedeuten mehr Gerechtigkeit und Aussagekraft über das tatsächliche Leistungsvermögen einer Mannschaft. In Niedersachsen und Hamburg wird bereits mit 18 Mannschaften gespielt. Für eine Vielzahl der Vereine ist das Thema Aufstieg in die Regionalliga zum Tabu-Thema geworden. Dadurch hat die Oberliga für die Zuschauer zunehmend an Attraktivität verloren, da viele Vereine in Schleswig-Holstein zufrieden sind, wenn sie die Qualifikation für die Hallenmasters geschafft haben oder wenn der Klassenerhalt rechtzeitig gesichert wurde. Ein Aufstieg unter den jetzigen Voraussetzungen ist für kaum einen Verein erstrebenswert.

Youkick stellte dazu SHFV-Geschäftsführer Dr. Tim Cassel einige Fragen hinsichtlich der Staffelerweiterung von der Oberliga abwärts.

Was müsste von Seiten der Vereine unternommen werden, damit der SHFV aktiv wird?
„Jeder Verein kann über seinen Kreisfußballverband Anträge stellen – das kann auch die Anzahl der Teams innerhalb einer Liga betreffen. Wenn es um Verbandsspielklassen geht, können diese Vorschläge auch an die Verbandsgremien gerichtet werden.“

Wer entscheidet über eine Staffelerweiterung ggf. auch für andere Ligen?
„Die aktuellen Ligagrößen sind 2017 im Rahmen einer umfangreichen Spielklassenstrukturreform durch den Verbandstag beschlossen worden. Erneute Änderungen einer Spielklassenstruktur wären eine derart weitgehende Veränderung der Spielordnung, dass grundsätzlich auch dafür ein Verbandstagsbeschluss notwendig wäre, um diese nachhaltig und in größtmöglichem Umfang zu legitimieren. Rein formell können Änderungen der Spielordnung zwar durch Anträge an das Präsidium vorgenommen werden. Im Fall einer Veränderung der Spielklassenstruktur sind jedoch ein umfassender Austausch mit den Vereinen und eine transparente Vorgehensweise sinnvoll.“

Welche Mehrheiten müssen vorliegen, damit eine Anpassung erfolgen könnte
„Formell bedarf es einer Änderung der Spielordnung durch eine einfache Mehrheit im Präsidium. Bei derart weitreichenden Änderungen stellt jedoch ein Verbandstagsbeschluss aus oben genannten Gründen die angemessenere Legitimation dar.“

Wie zeitnah wären Veränderungen in der Staffelstärke umzusetzen?
„Derartige Veränderungen sollten ausführlich durchdacht, mit den betroffenen Vereinen besprochen und transparent kommuniziert werden, weshalb ein Vorlauf von mindestens einem Jahr sinnvoll ist.“

Vielen Dank für das Gespräch.

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