Ben Labes (Kilia Kiel) erwartet vor den Holsteiner Ergänzungsspielern die ganze Welt nach seinem 1:0. © 2023 Ismail Yesilyurt
Wer es nicht gesehen hat, wird es für einen Scherz halten! Den Coup, der Kilia im Kieler Stadtderby am Sonntagnachmittag gegen Holstein II gelingt. Vor 800 Zuschauern im Kilia-Stadion schlägt der gastgebende Tabellenletzte mit 1:0 den Tabellenführer vor dem 17. Spieltag, der am Samstag von der punktgleichen Mannschaft von Hannover 96 II an der Tabellenspitze abgelöst wurde. Man mag es glauben oder nicht: Der Sieg von Kilia Kiel ist auch verdient! Bei einer Quote von ungefähr 1:15 bei den Buchmachern.
Felix Niebergall und Tom Baller bereiten 1:0 durch Ben Labes vor
Dem Siegtreffer geht ein Chipball von Felix Niebergall die rechte Seite voraus. Tom Baller setzt sich geschickt gegen die Abwehr durch und passt quer die Strafraumlinie zum anlaufenden Golden-Goal-Gewinner Ben Labes. Der Schuss des 19-Jährigen aus 20 Metern wird unhaltbar für Tyler Dogan in seinem dritten Saisoneinsatz zwischen den Pfosten abgefälscht. Alle drei Kilia-Beteiligten am Tor haben eine Holstein-Geschichte in der nahen Vergangenheit. Wie auch vier weitere Akteure, die in der Startformation stehen.
Kein David gegen Goliath zu sehen
Eigentlich ist in der ersten Halbzeit kaum zu sehen, dass der Zweite der Regionalliga Nord gegen den 18. bzw. Letzten spielt. Nicola Soranno hat seine Mannschaft gut eingestellt. Und an der Einstellungs- bzw. Motivationsschraube muss man beim Underdog in diesem Prestige-Duell in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt nichts drehen, da diese schon auf höchster Stufe steht. Mit viel Leidenschaft, Hingabe und Aufopferung ist der Aufsteiger dabei.
Moderne Kilia-Spielweise mit verdichteter Mitte
Mit einer Dreier-Abwehrkette, die konsequent das Zentrum dichthält, zwei Außenbahnen mit Yannik Jakubowski auf rechts und Salih Ramo mit moderner Ausprägung entweder defensiv oder offensiv eingebunden, drei Spielern im kompakten Mittelfeldzentrum sowie zwei Angreifern mit Matti Seidel oft als hängende Spitze kann Kilia überraschenderweise die Offensiv-Power der Holsteiner kontrollieren.
Die Jungstörche scheinen im Vorbeigehen die Punkte mitnehmen zu wollen. Es fehlt das Tempo in den Aktionen. Auch wenn die Gäste mit ihrem guten Positionsspiel in der Offensive mit Freigeist Stanislav Fehler (mit 13 Toren Führender der Regionalliga-Liste) überzeugen, man vermisst den Pep, der dieses Team bisher in der Saison ausgezeichnet hat. Wie später Cheftrainer Sebastian Gunkel auf der PK sagte, stimmen auch die Prozente beim Einsatz nicht. Oder der Masterplan von Nicola Soranno greift und nimmt dem Gegenüber den Elan, den Schwung. Beides trifft zu in der ersten Hälfte und auch später. Für eine Spitzenmannschaft dieser Güte und Klasse produzieren die Gäste zu viele Fehler. Sei es bei der Ballbehandlung oder Weiterverwertung zum Mitspieler. Lediglich Aurel Wagbe aus dem Zweitliga-Kader setzt hier und da einige vielversprechende Läufe an.
Matchglück hält 102 Minuten
Zudem ist dem Aufsteiger auch endlich das Matchglück über die komplette Spielzeit von 102 Minuten inklusive der Nachspielzeit (davon 9 in der zweiten Halbzeit) hold. So in der 18. Minute, als Fehler aus etwa 11 Metern zum Abschluss kommt, aber Torwart Tom Pachulski abwehren kann. Und nach knapp 30 Minuten sowie in der Nachspielzeit der ersten 45 Minuten zwei Mal durch Niklas Niehoff, der in Pachulski seinen Meister findet.
Soranno-Auswahl stutzt im Kollektiv Störche-Flügel
Der erste Abschnitt, wie auch auf wenige Phasen der zweite, geht trotz mehr Ballbesitz für den Favoriten in Richtung ausgeglichen, da Kilia Kiel konsequent das Zentrum verteidigend, kampfstark und mit einem guten Anlaufen in einem starken Kollektiv überzeugt. Auch nach dem Seitenwechsel, wo der Zweitliga-Unterbau versucht, den Speed aufzudrehen und hochzuhalten. Doch im Gegensatz zum mehr Abwehr- denn Mittelfeldpressing vor der Pause streuen die Gastgeber Störmanöver in der Störche-Hälfte ein. Zudem gibt es mehr Vorstöße in Richtung Dogan-Gehäuse. Wie in der 54. Minute über die linke Seite, als Seidel aus spitzem Winkel verfehlt. Und eine Viertelstunde später mit einer Volleyabnahme nach abgewehrtem Freistoß das Tor hoch verfehlt.
Drilon Trepca und Yannik Jakubowski vor dem 2:0
Kurz darauf hilft das Glück mit. Wenn man bei dieser Szene davon sprechen darf. Holsteins Lucas Wolf erobert in der eigenen Hälfte das Spielgerät und bedient nach tollem Solo am Kilia-Strafraum Fehler, der ins lange Eck zum 1:1 trifft. Sehr knapp Abseits! Korrekterweise. Danach passiert lange Zeit nichts Nennenswertes.
Holstein ohne Erleuchtung
Holsteins Inspiration ist im Nachwuchsleistungszentrum geblieben, die Ideen für einen torreichen Umschwung fehlen. Ein Kopfball von Laurynas Kulikas nach Eckball, der etwas Gefahr ausstrahlt, ist nach etwas mehr als einer Stunde Spielzeit zu wenig. In der ersten Minute der Nachspielzeit eröffnet sich dann den Kilianern die Entscheidung dieser Partie. Drilon Trepca umkurvt mühelos 4 Holsteiner, aber seinen Abschluss kann Dogan abwehren. Auch den Nachschuss von Jakubowski aus spitzem Winkel (91.). Nach dem gefährlichen Drehschuss vom Storch Stefan Rankic (92.) und der aus Kilia-Sicht ewig dauernden Overtime ist es dann passiert. Kilia Kiel holt mit dem 1:0 seinen zweiten Saison(Heim)-Sieg und das im Spiel zwischen David und Goliath.
1:0 versendet Rote Laterne
Der 1:0-Erfolg bringt als Beigabe den Stopp des Negativlaufs von 10 Niederlagen in Folge und Versand der Roten Laterne an die Landesgrenze von Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen zum SC Spelle-Venhaus. Zudem viel Lebenskraft für den FC Kilia Kiel, der für den kommenden Samstag viel Energie für das wichtige Rückspiel an gleicher Stelle gegen den Bremer SV getankt hat. Der Fast-Absteiger aus der Vorsaison, derzeit mit 15 Punkten auf einem Nichtabstiegsplatz, tritt dann beim Tabellen-17. (9 Punkte) an.
Julius Alt ist Kilias Schnittstelle
Aus einem sehr homogenen und starken Kilia-Kollektiv mit einer beeindruckenden Abwehr ist Julius Alt, der neben Tom Pachulski und Malte Petersen bei allen Spielen dabei war, mit seiner Erfahrung aus 46 Spielen für Holstein II in der Regionalliga und Spielintelligenz Schnittstelle vieler Aktionen. Der 25-Jährige aus der Mittelfeldzentrale rückt auch mal in die Abwehr ein oder in die Offensive mit gutem Anlaufen.
Tom Baller, Salih Ramo und Matti Seidel top
Tom Baller läuft gegen seinen Ex-Verein (30 Einsätze in der RL Nord) zu guter Form auf und leitet das 1:0 stark ein. Ballsicher und mit gutem Auge überzeugt der ebenfalls 25-Jährige. Obwohl ohne Treffer, verdient sich Matti Seidel erneut eine gute Note. Der Offensivspieler, der auch für die zweite Mannschaft von Holstein in 17 Partien auflief, reißt sich mit seiner Spielweise und starken Ballbehauptung den Allerwertesten für sein Team auf. Zudem überzeugt Salih Ramo auf seiner linken Außenbahn, über die bei Holstein Kiel fast nichts läuft.
Stimmen zum Spiel
FC Kilia Kiel: Pachulski – Petersen, Foit, Warncke (77. Waschko) – Jakubowski, Niebergall (69. Müller), Alt, Baller (90./+3 Kramer), Ramo (83. Trepca) – Labes (62. Petrick), Seidel.
Trainer: Nicola Soranno.
Holstein Kiel II: Dogan – Mai (90. Jetz), Carrera (62. Wansiedler), Rankic, Lelle – Voß (87. Saka), Wolf (90./+4 Koc), Wagbe – Niehoff (68. Sohn), Fehler – Kulikas.
Trainer: Sebastian Gunkel.
Schiedsrichter: Ole Andreas Schulz (VfL Bad Schwartau).
Assistenten: Bela Bendowski, Khaled El-Rifai. Das Schiedsrichter-Gespann überzeugt und hat in entscheidenden Szenen, wie bei dem geforderten Gäste-Elfmeter gleich nach der Pause zwischen Kulikas und Baller, den Überblick.
Zuschauer: 800.
Tor: 1:0 Labes (43.).