Lübecker Stadt-Derby fesselte 20.000 Zuschauer

von Ismail Yesilyurt

Am Freitag wird es in Lübeck ganz heiß. Im Stadion Lohmühle. Der Regionalliga-Spitzenreiter VfB Lübeck erwartet im Stadtderby den 1. FC Phönix, der Platz 11 belegt. Zwar werden nicht wie in der Saison 1959/60 die Rekordkulisse von 20.000 Zuschauer die Lohmühle bevölkern, aber eine beachtliche Anzahl wird die Stimmung anheizen. Der VfB Lübeck blickt noch einmal auf die Duelle zurück.

1959/60: Als es Stadtderbys noch in der höchsten Klasse gab

(Quelle: PN VfB Lübeck/ Christian Jessen) 99 Jahre hat das Lübecker Stadtderby, das am Freitag (19.30 Uhr) auf der Lohmühle seine 144. Auflage erlebt, „auf dem Buckel“, seit sich im Mai 1924 VfB-Vorgänger Sportvereinigung Polizei Lübeck den gerade erst gegründeten LBV Phönix (Zusammenschluss aus Lübecker BV und den Fußballern der Lübecker Turnerschaft) zum Polizei-Sportfest eingeladen hatte. Auf das 2:5 folgten 142 weitere Duelle, seit 1931 ging es dabei fast immer um die fußballerische Vorherrschaft in der Stadt. Vor 1947 traf man sich regelmäßig auch in der höchsten Spielklasse. Nach Oberliga-Gründung gab es dort nur noch zwei gemeinsame Spieljahre. Wir blicken zurück auf die beiden letzten Derbys in der Erstklassigkeit, die auch Zuschauerrekorde in der Derby-Historie markieren.

25. Oktober 1959, VfB Lübeck – Lübecker BV Phönix 1:0 (1:0)

Der VfB war 1959 nach einem Jahr Abstinenz mit einem sehr jungen Team wieder aufgestiegen, Phönix in der dritten Saison in Folge in der Oberliga Nord dabei. Als es Ende Oktober zum ersten Stadtderby kam, hatte aber Aufsteiger VfB nur eine Niederlage auf dem Konto, der LBV Phönix hingegen war nach einem 0:7 gegen den HSV im Tief und tief im Abstiegskampf. „VfB Lübeck ist der große Favorit“, hieß es entsprechend in den Lübecker Nachrichten. Doch das Spiel bewies wieder einmal, dass es klassische Rollen in Derbys nicht gibt. Ohne die gesperrten Stammkräfte „Jonny“ Felgenhauer, Walter Gawletta und Artur Leipert war der VfB keineswegs die klar stärkere Mannschaft, setzte sich aber dennoch durch. Kampf, Teamgeist und eine Portion Glück waren dafür nötig. „Rein spielerisch blieb die Elf erheblich hinter den Erwartungen zurück. Sie war dem überraschend starken Phönix deutlich unterlegen und mit dem 1:0 gut bedient“, so der LN-Bericht.

Harry Clasen: „Länderspielstimmung.“ – 20.000 Zuschauer

Den VfBern wird es schon damals egal gewesen sein, denn der gleiche Bericht attestierte den Grün-Weißen, „drei Fliegen mit einer Klappe“ geschlagen zu haben: Derbysieg, Sprung auf Tabellenplatz zwei und „mit fast 20.000 Zuschauern eine neue Rekordeinnahme“. Mehr noch als in späteren Jahren war das Derby in aller Munde. „Über diese Derbys sprach damals die ganze Stadt“, erinnerte sich VfB-Angreifer Harry Clasen gern. „Ausgesprochene Länderspielstimmung“ und eine „Atmosphäre wie sie nur bei echten Großkämpfen anzutreffen ist“, hatten die LN ausgemacht – die Zuschauer standen dicht gedrängt auf den Stehrängen, einige kletterten sogar in die Pappeln.

Tor von Rolf Giesler entscheidet 1959 Derby-Schlacht

Sie sahen ein schönes Tor des VfB, das Klaus Treumann stark für Rolf Gieseler vorbereitet hatte, und eine wenig effektive Phönix-Elf. Nach der Pause wurde die Partie zu einer richtigen Derby-Schlacht, mit den Höhepunkten eines rüden Einsteigens von „Molle“ Schütt gegen den Phönixer Heinz Ladewig, dass der unbeherrschte Gäste-Mittelläufer Erich Neupert rund 20 Minuten mit einem Revanchefoul beantwortete, für das er „unverzüglich vom Platz gestellt werden musste“, wie es in den LN hieß. „Nun war die Hölle los, und über die letzten Minuten spricht man am besten kein Wort mehr.“

VfB: P. Knaak – R. Meyer, Kühn – Hofmann, Kröpelin, Brinckmann – Schipper, Schütt, Gieseler, Clasen, Treumann. –
Trainer: Vollmar.

Phönix: Krämer – Mielenz, Eckhorst – Prehn, Neupert, Ladewig – Galle, Garstecki, Ertel, Hartz, Drews. –
Trainer: Westphal.

Tor: 1:0 Gieseler (20.). –

SR: Werner Spiewak (Hamburg). –

Zuschauer: 20.000. –

Platzverweis: Neupert (82., Revanchefoul).

14. Februar 1960, Lübecker BV Phönix – VfB Lübeck 0:2 (0:1)

Schon im Februar trafen sich beide Lokalrivalen zum Rückspiel, und auch diesmal gab es eine Rekordkulisse, obwohl der VfB aus der Spitzengruppe ins untere Mittelfeld der Tabelle abgerutscht war. 15.000 Zuschauer im Stadion Flugplatz an der Travemünder Allee bildeten einen Derby-Rekord für ein Phönix-Heimspiel. In den LN gaben vor dem Spiel Stadtpräsident Werner Kock, Senatoren, der legendäre „Ruderprofessor“ Karl Adam und altgediente Fußballer wie der VfBer Max Hoppe oder der Phönixer Dr. Gottfried Hollensteiner ihre Tipps zum Spiel ab: Unentschieden war dabei die Mehrheitsmeinung. Die heiße Derby-Atmosphäre hatte auch den NFV auf den Plan gerufen – er schickte mit Diedrich Basedow, Gerhard Schulenburg und Werner Spiewak gleich seine drei besten Unparteiischen als Gespann nach Lübeck.

Walter Gawlettas zwei Treffer zum 2:0 für VfB Lübeck

Die Unparteiischen hatten das letzte Erstliga-Stadtderby auf dem Schneeboden bestens im Griff. „Phönix verlor das Lokalderby schon in der Kabine“, titelten die LN, nachdem Phönix-Trainer Otto Westphal sich entschieden hatte, den angeschlagenen Reinhold Ertel aufzustellen. Keine gute Entscheidung: „Ertel fing schon nach dem ersten Zweikampf in der 12. Minute an zu humpeln.“ Da stand es bereits 0:1 – der giftige VfB-Verteidiger Rolf Meyer hatte einen Ball erobert, Walter Gawletta den ersten Treffer erzielt. Der Rechtsaußen war neun Minuten vor dem Abpfiff auch für das 0:2 verantwortlich. Diesmal hatte Jürgen Brinckmann, der heutige VfB-Ehrenspielführer, mit einem weiten Ball in die Spitze eingeleitet und Gawletta das Duell gegen Phönix-Kapitän Harald Eckhorst gewonnen. Dazwischen hatten beide Mannschaften auf schwierigem Boden ihre Chancen gehabt, die Phönixer sogar ein Eckenplus von 11:4 – am Verdienst des VfB-Sieges gab es dennoch in allen Berichten keine Zweifel.

Bemerkenswert waren auch die Rahmenbedingungen: Der VfB hatte sich auf der Lohmühle umgezogen und war in Spielkleidung an der Travemünder Allee erschienen. Morgens hatte Liga-Obmann Hermann Knaack mit drei VfB-Spielern den Platz begutachtet und die Stollenwahl vorgenommen. Auf den Rängen hatte der VfB trotz des Auswärtsspiels erkennbare Vorteile. „Bevor die siegreiche VfB-Mannschaft sich den Weg in die Kabine bahnte, lief sie geschlossen zur großen Stehtribüne, um sich dort bei den vielen VfB-Anhängern für die große Unterstützung zu bedanken.“

Phönix: Krämer – Mielenz, Eckhorst – Prehn, Neupert, Ertel – Dretzler, Garstecki, Hartz, Ladewig, Drews. –
Trainer: Westphal.

VfB: Felgenhauer – R. Meyer, Leipert – Brinckmann, Kröpelin, Kühn – Gawletta, Schütt, Clasen, Gieseler, Treumann. –
Trainer: Vollmar.

Tore: 0:1 Gawletta (8.), 0:2 Gawletta (81.). –

SR: Diedrich Basedow (Hamburg). –

Zuschauer: 15.000.

Phönix steigt ab

Am Saisonende war Schluss für den LBV Phönix in der Oberliga – als Vorletzter stieg die Mannschaft ab. Für den VfB endete die Erstklassigkeit im Sommer 1963 mit Einführung der Bundesliga endgültig. Stadtderbys behielten aber – je nach Tabellenstand und Spielstärke – auch in der zweitklassigen Regionalliga, in der drittklassigen Amateur-Oberliga oder sogar in der höchsten Klasse Schleswig-Holsteins das Potenzial für große Kulissen und Derby-Atmosphäre. Von den bislang 143 Derbys gewann der VfB 82, Phönix 37. 23 Spiele endeten unentschieden, einmal (vom letzten Spiel während des Krieges im April 1945) ist kein Ergebnis überliefert.

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