Youkick startet eine neue Serie: Gesucht werden Sportplätze in Kiel und Umgebung, die es heute nicht mehr gibt und die meist spurlos verschwunden sind. Youkick taucht dabei tief in die Kieler Sportgeschichte ein. Youkick-Redakteur Helwig Pfalzgraf widmet sich mit viel Herz und Wissen diesem Projekt.
Erster Fußballklub in Kiel: Der 1. Kieler Fußball-Verein von 1900 und seine Spielstätte auf dem „Großen Exerzierplatz“
Im Jahr 1900 war es soweit: In Kiel beschlossen einige junge Turner des KMTV von 1844, einen Fußballklub zu gründen. Das war jedoch innerhalb ihres Vereins unmöglich. In traditionellen Turnerkreisen herrschte große Abneigung gegen die „englische Fußlümmelei“. Kurzerhand machte man sich selbstständig und gründete auf dem Weg nach Lübeck – zum ersten Fußballspiel einer Kieler Mannschaft überhaupt – einen eigenständigen Verein. Ironischerweise weist der KMTV heute die größte Fußballabteilung Kiels auf.
Große Platznot
Die Idee war geboren, doch wo spielen? Die KFVer hatten glücklicherweise gute Kontakte zur wohlgesinnten Stadtverwaltung und zur Militärkommandantur. Die Stadtverwaltung erlaubte zunächst die Nutzung und Anlegung eines „kleinen Sportplatzes“ an der Ecke Hohenzollernring (heute: Westring) / Eckernförder Chaussee (heute: Eckernförder Straße). Doch dieser musste bereits 1902 wegen einsetzender Bebauung wieder aufgegeben werden.
Das Militär stellt den Paradeplatz auf dem Großen Exerzierplatz zur Verfügung
Die Kieler Kommandantur hatte die Nutzung des Großen Exerzierplatzes gestattet, falls er nicht gerade militärisch gebraucht wurde. Hier sichtete der junge Hermann Langness, später zweimal Holstein-Vorsitzender, bereits „1900 oder Anfang 1901“ überraschend erstmals Fußballer und war von diesem Spiel sofort fasziniert.
Schwierige Feldforschung
Doch wo genau lag dieser Platz? Der Große Exerzierplatz war riesig und erstreckte sich entlang des Vieburger Gehölzes. Hier übten sonst Soldaten des Kaisers: die 85. Infanterie-Division, die Matrosen-Divisionen, die Landungskorps der Flotte oder das Seebataillon. Doch glücklicherweise gibt es das obige Luftfoto von 1926, und auch heute lässt sich die Grenze des angelegten Paradeplatzes und damit des ehemaligen Fußballplatzes gut erkennen.
Prinz Heinrich und Großadmiral Tirpitz nehmen hier Paraden ab…
Doch weil zu einem Exerzierplatz für Geländeübungen eben auch ein ebener Paradeplatz gehört, hatte das Militär bereits im 19. Jahrhundert solch einen Platz geschaffen. Sehr zur Freude der Fußballer, die genau so eine Spielfläche benötigten.
… und wird auch vom KFV genutzt
Zunächst genügte dem KFV noch eine sehr kleine Wiese des Großen Exerzierplatzes, direkt an dem Ausflugslokal „Waldwiese“ (nicht zu verwechseln mit dem jetzigen Sportplatz, der erst 1923/26 angelegt wurde). Doch für richtige Wettspiele war diese Wiese ungeeignet. Es wurde nun der Paradeplatz genutzt, der 15–20 Gehminuten über hügeliges Gelände entfernt lag. Dies bedeutete viel Arbeit: Der Platz musste jeweils auf- und abgebaut werden, die schweren Materialien wurden in der Waldwiese gelagert und mussten für jedes Spiel hin- und hertransportiert werden. Hinterher durfte nichts mehr sichtbar sein, die Torpfostenlöcher mussten wieder geschlossen werden, und im Winter musste der gefrorene Boden erst aufgetaut werden.
… und im Januar 1903 debütiert hier der FC Holstein mit dem 16-jährigen Adolf Werner im Tor
Gefrorener Boden war auch am 4. Januar 1903 ein Thema. Im Mai 1902 hatte sich mit dem „FC Holstein von 1902“ ein weiterer Fußballklub gegründet. Er übte auf einem noch unbebauten Grundstück zwischen der heutigen Wilhelmshavener- und Clausewitzstraße – oft mangels Platz auf nur ein Tor. Als Latte diente gelegentlich sogar eine Wäscheleine.
An jenem 4. Januar 1903 machte der FC Holstein auf dem Paradeplatz sein allererstes Spiel. Gegner war die 2. Mannschaft des KFV. Im Tor der Holsteiner stand der 16-jährige Adolf Werner, der in diesem Spiel sein großes Können zeigte. Sechs Jahre später wurde er Nationalspieler und galt als der beste deutsche Torwart der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Adolf Werner glänzte erstmals in der späteren Pestallozistr. / Holunderbusch. Unglaublich:. Weil Fußballplatz war der Platz ja schon.
Sportplatznot weiter akut – Großer Exerzierplatz gesperrt
Die wachsende Kieler Fußballszene traf es hart, dass die Kommandantur den Großen Exerzierplatz 1903 vorübergehend sperrte.
Wiese an der Eichhofstraße kein adäquater Ersatz
Zwar durfte der KFV „eine kleine unebene Koppel“ an der noch fast unbebauten Eichhofstraße nutzen, aber diese war für Wettkämpfe ungeeignet. Offenbar konnte der Große Exer jedoch bald wieder genutzt werden, denn ab 1903/04 liefen die ersten Kieler Fußball-Punktrunden. Allerdings spielten in der höchsten Spielklasse nur die drei „ersten“ Mannschaften von KFV, Holstein und Kilia. Es gab also lediglich wenige Punktspieltage.
In diesem Spieljahr stellte der KFV jedoch bereits vier Mannschaften und spielte mit diesen gegen die unteren Teams der beiden anderen Vereine sowie gegen weitere neu gegründete Mannschaften (z. B. Holsatia). Auch der Spielverkehr mit auswärtigen Teams (Altona 93, Germania) blieb erhalten.
Der FC Holstein nutzt eine neue Spielfläche
Der FC Holstein, der bis zur Fusion mit dem KFV im Jahr 1917 seinen Namen mehrmals geringfügig änderte, spielte ab Frühjahr 1903 auf einer Wiese direkt an der Gutenbergstraße. Gegenüber befand sich sein Stammlokal, das „Storchnest“. Der FC Kilia dürfte mangels anderer Möglichkeiten ebenfalls dort gespielt haben. Dieser Platz wurde im Stadtplan von 1910 als „Jugendspielplatz“ ausgewiesen. Die Lage entspannte sich etwas, als der „Große Exer“ wieder freigegeben wurde.
Legendäres Derby auf dem Großen Exerzierplatz zwischen KFV und Holstein 1907
1907 fand hier ein „berühmtes Spiel“ (Hermann Langness) zwischen dem KFV und Holstein statt, das von „einigen Hundert“ Zuschauern verfolgt wurde. Eintrittsgelder wurden nicht erhoben, da der Platz frei zugänglich war.
Die Chronik „100 Jahre Holstein Kiel“ gibt den Spielausgang mit 2:2 an und vermerkt, dass das Spiel wegen Dunkelheit abgebrochen wurde. Holstein wurden die Punkte zugesprochen, da der KFV für den verspäteten Spielbeginn verantwortlich war. Hermann Langness erwähnt jedoch in der Chronik „30 Jahre Holstein-Kiel“, dass das Spiel beim Stand von 2:0 für den KFV wegen eines Gewitters abgebrochen wurde.
Einweihung des Städtischen Spiel- und Sportplatzes 1907
Eine gewisse Entspannung in der Sportplatzfrage brachte die Eröffnung des „Städtischen Spiel- und Sportplatzes“. Doch nicht nur die Zahl der Fußballer explodierte in dieser Zeit – auch andere Sportarten und Vereine nahmen den bald „Norder“ genannten Platz in Beschlag.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass alle drei oben genannten Vereine unter großen Anstrengungen bald vereinseigene Sportplätze planten und noch vor dem Ersten Weltkrieg in Betrieb nahmen (Holsteinplatz 1911, Kiliaplatz 1912, KFV-Platz 1914).
Was geschah mit dem Paradeplatz auf dem Großen Exerzierplatz?
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Militärpräsenz in Kiel zunächst passé. Der Große Exerzierplatz lag brach und wurde teilweise als Kleingartenland genutzt, wie die kleinteiligen Felder auf dem obigen Foto zeigen. Doch der Fußballplatz hielt sich und wurde weiter genutzt. Das Luftbild von 1926 zeigt typische Abnutzungsspuren der Grasnarbe durch intensive Nutzung. Im Originalabzug ist sogar das Torgestänge sichtbar, das den Platz weiterhin als Sportstätte ausweist.
Wer bis 1926 darauf gespielt hat, bleibt unklar. Spätestens 1926 wurde die neue Waldwiese fertiggestellt. Ab 1923/24 gab es beim THW Handball, der zunächst auf einem Sportplatz hinter dem Lehrerseminar in der Diesterwegstraße spielte. Ab 1928 nutzte der THW einen selbst errichteten Sportplatz am Wulfsbrook. Es ist gut möglich, dass der THW zeitweise auch auf den ehemaligen Paradeplatz ausgewichen ist.
Der Große Exerzierplatz wird überbaut
In den 1930er Jahren wurde der gesamte Große Exerzierplatz überbaut. Heute erinnert nichts mehr an die Sportstätte, auf der der FC Holstein sein erstes Spiel bestritt und der Stern des Adolf Werner aufging.